26721 Emden Kunsthalle

Heute besuchen wir die Ausstellung Mytos Wald in der Kunsthalle Emden. Um wenige Orte ranken sich so viele Mythen und Erzählungen wie um den Wald. Gerade in Deutschland ist der Wald ein hochaufgeladener Bedeutungsraum. Spätestens seit der Romantik wurde er zum deutschen Nationalmythos verklärt. Gleichzeitig ist der Wald ein zentrales biologisches und ökologisches System, dessen Verletzlichkeit sich seit dem großen Waldsterben in den 1980er Jahren ins Bewusstsein der Menschen eingebrannt hat. Heute wird der Wald durch Abholzungen zum Autobahnbau oder Steinkohleabbau bedroht und zum Schutz von zahlreichen Aktivistinnen und Aktivisten besetzt.

Diese existentielle Verbundenheit des Menschen schlägt sich auch in der Kunst nieder - ob geheimnisvoll und finster oder friedvoll und kraftspendend. Die Ausstellung schlägt die Brücke von Darstellungen um 1900 bis hin zu raumgreifenden zeitgenössischen Installationen und macht den Wald als einen Ort erfahrbar, der zugleich Mythos und Motiv, Projektionsfläche und Paradies ist.

Erst die Arbeit, dann das Vergnügen, aber unbedingt ins Henri´s gehen und eine Teezeremonie oder anderes verspeisen.

Das satte, grüne Dickicht des Waldes, Lichtungen, die in mystisches Licht getaucht sind, der von Morgentau bedeckte Waldboden – darauf richtet Daniel Gustav Cramer seine Kamera in der Woodland-Serie. Der Fokus liegt dabei immer auf einer Art Mittelgrund, einen Horizont zeigen die Bildausschnitte nicht. Das Spiel aus Licht und Schatten begrenzt den Bildraum, lässt ihn seltsam eng wirken. Cramer verwehrt jegliche Rückschlüsse auf Ort und Zeit, und auch Spuren menschlicher Präsenz klammert er bewusst aus.

Als Christian Rohlfs diese Waldansicht malte, war er bereits 71 Jahre alt. In den vielen Jahrzehnten seines künstlerischen Schaffens entwickelte er eine unverwechselbare Bildsprache und Maltechnik. Er bezog immer wieder Einflüsse verschiedener Stilrichtungen in sein eigenes Schaffen ein. Doch er konzentrierte sich stets auf ein einfaches, überschaubares Hauptmotiv – einen Wegesrand, einen Steinbruch, eine Brücke oder eine Baumgruppe, wie sie hier dargestellt ist.

Mit schwungvollem Strich fertigte Christian Rohlfs eine Vorzeichnung an, die insbesondere am unteren Bildrand durch die zarte, transparente Farbe des Waldbodens durchscheint.

Mariele Neudecker arbeitet mit einer Vielzahl verschiedener Materialien: Ihr künstlerisches Schaffen reicht von Zeichnung und Druckgrafik bis hin zu Film, Video und Installationen. Bemerkenswert sind vor allem ihre Tank-Arbeiten, von denen seit den 1990er Jahren über 30 Stück entstanden sind. Wenngleich es sich dabei nicht um eine zusammenhängende Serie handelt, sind gewisse Ähnlichkeiten doch immer wieder zu erkennen: Jeder der Tanks enthält eine menschenleere Landschaft in einer Flüssigkeit, die durch verschiedene Zusatzstoffe wie Lebensmittelfarbe oder Salz mal farbig leuchtet oder milchig-trüb ist. Auf beinahe magische Weise greifen diese Arbeiten die Konventionen der Landschaft in der Romantik auf und übersetzen sie in den dreidimensionalen Raum.

Die in Berlin lebende Künstlerin Brigitte Waldach kombiniert in ihren zumeist großformatigen Arbeiten die Zeichnung mit dem geschriebenen Wort. Dabei setzt sie sich intensiv mit Phänomenen der Kultur- und Zeitgeschichte und der Mythologie, mit existenziellen Themen wie Religion und Liebe oder mit brisanten Inhalten wie Terrorismus, Angst und Gewalt auseinander.

Vor einem dicht mit Graphit schraffierten, dunklen Hintergrund erhebt sich die helle Silhouette eines Waldes. Das Blattwerk wird angedeutet durch wolkenartig zusammengesetzte Wörter und Textfragmente, die sich zu einem komplexen Gebilde verdichten. Die handgeschriebenen Worte sind unter anderem entnommen aus Kurzgeschichten des amerikanischen Autors David Foster Wallace, bei dem im Wald das Böse lauert.

Der Mond strahlt hell durch die Bäume und taucht den Waldboden in melancholisches Licht. Zwischen den monumentalen Baumstämmen entdecken wir eine Figur, die uns den Rücken zuwendet und im Vergleich zur Landschaft winzig erscheint. Sofort fühlen wir uns an Gemälde der Romantik-Epoche erinnert, besonders an die von Caspar David Friedrich, denen diese melancholische Stimmung ebenfalls inne ist. Andreas Mühe greift in Gespensterwald keineswegs nur auf die Kunstgeschichte zurück, sondern thematisiert die Sehnsucht nach der Einheit von Mensch und Natur – in der Romantik wurde sie träumerisch-verklärt, heute steht sie unter den Vorzeichen des voranschreitenden Klimawandels. Insbesondere Bäume und Wald eignen sich als Mahnmale für die Umweltprobleme. Der Wald gilt spätestens seit dem in den 1980er Jahren vieldiskutierten Waldsterben als Symbol des Klimawandels.

Vier Bäume stehen am Hang auf einer grünen Weide, die das Bild fast vollständig ausfüllt; an den Zweigen sind zarte rosa Knospen zu sehen, der Himmel strahlt in hellem Blau. Erst auf den zweiten Blick bemerkt man die Frau im türkisen Kleid am linken Bildrand, die vermutlich die ersten Sonnenstrahlen des Frühlings genießt. Gegen sie scheinen die Bäume im Vordergrund übergroß zu sein. Mit viel Einfühlungsvermögen und detailreicher Naturbeobachtung stellt Otto Modersohn in Frühling das beginnende Aufleben der Natur dar.

Es sind gerade diese spezifischen Farb- und Lichterscheinungen und die damit verbundene atmosphärische Stimmung, die Otto Modersohn in der Natur beobachtet und während seiner gesamten künstlerischen Schaffenszeit festhält – von den zarten Tönen im Frühling über die strahlenden und klaren Farben des Sommers, die warme, goldbraune Färbung der Landschaft im Herbst bis hin zum kühlen, grauen Winter.

Jorma Puranen, Icy Prospect, 2008

Als Künstler der Arte Povera-Bewegung setzt sich der 1947 im italienischen Garessio geborene Giuseppe Penone intensiv mit der Natur auseinander. Seine vielschichtigen künstlerischen Verfahren haben als gemeinsamen Nenner den unmittelbaren Dialog mit der Natur– von vergrößerten Fingerabdrücken, die bewusst an die Jahresringe eines Baums erinnern, bis hin zu einer Eisenhand, die einen noch jungen Baum umgreift und viele Jahre danach vom Stamm umwachsen sein wird. Dem Baum kommt in Penones Œuvre ein besonderer Stellenwert zu, denn er betrachtet ihn als lebendige Skulptur, die einer stetigen Veränderung ausgesetzt ist.

Für Das Grün des Waldes umwickelte er einen Baumstamm sowie einige Äste mit einem Baumwolltuch. Darauf rieb er mit den Blättern des Baumes die Rindenstruktur ab. Mit Hilfe dieser Frottage-Technik, die in den 1920er Jahren durch Max Ernst für die bildende Kunst neu entdeckt und weiterentwickelt worden war, hat Penone die natürlichen Strukturen der Rinde verwendet, um sie künstlerisch in Form von Baumstämmen auf den Bildträger zu bringen. Das so entstandene Dickicht wirkt zum einen lebendig und natürlich, verweist zugleich jedoch auch auf die Vergänglichkeit des Dargestellten. Wie ein Herz ist im Zentrum ein Blatt aus Bronze aufgebracht – es setzt natürliche Form und künstlerische Formung miteinander in Bezug.

David Nash, Multi-Cut Column, 1999

Schwarze Konturen legen sich über ineinander vermalte Farbflächen aus Blau, Grün und Violett. Im oberen Drittel sind die Farben heller – man meint, einen Himmel ausmachen zu können. An einem erdachten Horizont bricht in strahlendem Gelb die Sonne hervor. Die schwarzen Konturen deuten Baumstämme an, die sich, analog zur monumentalen Größe von Bäumen, über die gesamte Höhe des Bildes erstrecken. Allmählich werden abstrakte Formen zu einem konkreten Bildgegenstand. Malerisch erforscht Per Kirkeby das Phänomen Baum.

Ausgangspunkt seines künstlerischen Schaffens ist sein wissenschaftliches Interesse an der Natur: Kirkeby studierte von 1957 bis 1964 Geologie, schloss das Studium mit einer Promotion ab und begann noch währenddessen 1962 das Studium der Malerei und Grafik in Kopenhagen an der Eksperimenterende Kunstskole. Er gilt als einer der bedeutendsten Vertreter dänischer zeitgenössischer Kunst. Kirkebys Œuvre ist äußert vielschichtig – von Grafik über Malerei und Plastik bis hin zu Filmen. Er war auch als Dichter und Autor tätig, äußerte sich in zahlreichen Schriften über sein eigenes Schaffen, das seiner Künstlerkolleginnen und -kollegen und allgemein zur Kunsttheorie.

Drei grüne, grazile Plastiken mit den wohlklingenden Titeln Marlene I, Marlene II und Marlene III bevölkern den Ausstellungsraum. Bis auf die Farbe Grün ist hier von Bäumen oder Wald zunächst keine Spur. Marlene I,II und III basieren auf Konstruktionen aus unserer Alltagswelt: Es handelt sich um Baumschutzbügel aus Edelstahl, also um gefundene beziehungsweise vorgefertigte Objekte. Normalerweise sehen wir diese Baumschutzbügel in Städten, und zwar in Parklücken. Hier sind sie zum Schutz vor Autos um vereinzelt stehende Bäume herum platziert. Wie auch bei Leitplanken handelt es sich bei Baumschutzbügeln um Objekte, die die Bewegung vom Menschen im öffentlichen Raum lenken sollen.

Diese Baumschutzbügel greift die 1971 geborene deutsch-iranische Künstlerin Bettina Pousttchi auf, verbiegt sie, verformt sie und steckt sie ineinander. Aus ihrer eigentlichen Umgebung, dem öffentlichen Raum, entfernt und in den Ausstellungskontext eingefügt, behalten die Bügel aber weiterhin ihre lenkende Funktion, und wir als Besucherinnen und Besucher müssen uns darum herum manövrieren.

Wie blicken auf drei abgebrochene Baumstämme, die anscheinend Opfer eines Sturms geworden sind. Von ihrer majestätischen Höhe und einstigen Baumkrone ist nichts mehr übrig. Aus ihrer natürlichen Umgebung gerissen, stehen sie entwurzelt da.

Der 1980 geborene Künstler Fabian Knecht hat tatsächlich Baumstämme nach einem Sturm aus dem Wald geholt. Von den Stümpfen fertigte er Abgüsse, die wiederum in Bronze gegossen wurden. Entscheidend ist dabei nicht die fertige Bronzeplastik, sondern vielmehr der konzeptuelle Gedanke und der performative Charakter dieses Schaffensprozesses. Denn Knecht überführt das dem weiteren Verfall preisgegebene Material Holz in langlebige Bronze – sterbliches Original und unsterbliche Kopie. Den Bruch des Baumes konserviert er für die Ewigkeit und hinterfragt dadurch unser Verständnis von Zeit und Vergänglichkeit.

Fabian Knecht ist bekannt für seine performativen Kunstwerke. Dabei verwischt er immer wieder die Grenzen zwischen Natürlichem und Künstlichem: entweder bringt er die Natur in Form von Bronzebaumstümpfen ins Museum oder er bringt den Ausstellungsraum in die Natur, indem er kleine Areale temporär in einem White Cube isoliert und zum Kunstwerk erhebt.

Tolle Ausstellung, viele interessante Eindrücke und nun ab ins Henri´s und an Henry Nannen denken.

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ES 07460 Pollenca

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